Ein Freund schickte mir das Bild eines indischen Interieurs mit dem Kommentar: "Ein Foto als
wäre es ein Mattenklott Gemälde". Es zeigte
einen blauen Raum mit Wolkenmuster, Türen
und einem indischen Antilopenbock, der sich etwas verloren umschaute. Die Fotografin Karen Knorr nannte diese Momentaufnahme aus dem nordindischen Fort Junagarh "The sound of rain". Ich assoziierte Romantisches und hatte Lust, dieses Mattenklott Gemälde zu malen.
Nächtliches Surfen in alten Bollywoodtanzszenen floß mich zu einer jungen Dame, die 1957 im Film "Sath Lakh" als Hirtenmädchen hingebungsvoll ihre Sehnsucht nach dem Liebsten in Gesang, Gestik, Mimik und Tanz ausdrückte. Beobachtet wurde sie von einem westlich gekleideten Paar:
der Mann hingerissen,
die Frau hin- und hergerissen.
Aus diesen beiden Quellen entsprang die Idee zum Bild.
Die Hirtin singt den Bock aus dem Fort hinaus
und er trägt sie dabei.
Typisch für den indischen Tanz sind die Handgesten - Mudras, die wie eine Zeichensprache benutzt werden,
um die Geschichten zu illustrieren, die getanzt werden. Von links im Uhrzeigersinn gesehen bedeuten die drei Mudras auf dem Bild, neben vielen weiteren Interpretationsmöglichkeiten, "sich nach dem Geliebten sehnen",
"ein Bild malen", "Geliebter".
Mudras in der Funktion, die Gesundheit zu regulieren, bilden eine uralte, wertvolle Apotheke, die immer zur Hand ist, wenn man das Wissen von ihnen hat.
Der Rock der Tänzerin ist verziert mit Motiven eines bestickten Wandbehanges der Bharwad, eine Hindu-Kaste
aus Saurashtra. Der obere Teil (hier nicht zu sehen) stellte eine männliche Gottheit dar, Sonne, Mond, zwei Frauen, Tiere. Der untere Teil eine weibliche Gottheit, zwei Reiter und Tiere. Ich fand es passend, wie sich die 6-Armigkeit wiederholt und auf ihre Weiblichkeit in der spirituellen Dimension hinweist.
Machen wir eine Expedition ins Tiereich:
Indische Antilopen ( Antilope cervicapra) sind die schnellsten Läufer der Erde, gleich nach dem Leoparden.
Das macht auch Sinn, weil der Leopard die Antilopen jagt und sonst keine Chance auf Nahrung hätte.
Kurzer Steckbrief in Zahlen: 80 km/h Höchstgeschwindigkeit, 50 bis 70 cm lange Hörner bei den Böcken, 80 cm Schulterhöhe, 120 cm Kopfrumpflänge.
Ein Antilop lebt mit seinem Harem von 5 bis 50 Antilopinnen in offenen Steppen und lichten Wäldern Indiens und Nepals. Während Weinchen und Jungtiere eine hellbraune Fellfarbe tragen, werden die Männchen mit zunehmendem Alter glänzend schwarz. Daher der englische Name "Black Buck"
Während des Malens hörte ich viel indisch-pakistanische Musik und Mantra-Gesänge. Im oberen Wandstreifen findet sich das Sri Lakshmi Mantra: "Om Shri Maha-Lakshmiey namaha" auf Sanskrit. Eine respektvolle Anrufung der Göttin Lakshmi, welche einem dann Glück, Wohlstand, Fülle, Reinheit, Schönheit, Gesundheit, Liebe, Fruchtbarkeit und Harmonie schenkt. Aus Neugier sang ich zum Schlafengehen etwa eine Stunde 108 mal mit.
"Very powerful: 100% guaranteed results!", versprach youtube.
Ein Resultat zeigte sich direkt danach vor meinem inneren Auge: ich sah rote Dreiecke auf blauem Grund
und dachte: " Das ist genau das richtige Muster für den Fußboden auf meinem Bild!"
Irgendwo hatte ich das schon mal als eine Art Mandala gesehen...
Nachts um zwei begann ich zu recherchieren und fand heraus, daß es sich um ein altes Yantra handelte, ein heiliges Diagramm, und zwar das Sri Yantra. Also eine geometrische Darstellung der Energie der Göttin Lakshmi. Magie!
Und doch irgendwie logisch, der Zusammenhang.
Das Sri Yantra stzt sich zusammen aus 9 großen Dreiecken.
5 Dreiecke zeigen mit der Spitze nach unten und bilden zusammen das Shakti-Yantra, Zeichen der weiblichen Urkraft (Fußboden mitte). 4 Dreiecke mit der Spitze nachoben bilden das Shiva-Yantra, Symbol der männlichen Energie und des Bewußtseins (rechts neben Shakti). Übereinandergelegt entstehen 43 kleine Dreiecke, in denen jeweils eine Gottheit lebt und in der Mitte der Bindu, der Tropfen des Ursprungs, aus dem alles entsteht und in den alles zurückkehrt, die ganze Schöpfung.
DerWeg der Tänzerin ünd des Böckis verläuft somit über das Männliche und Weibliche, verbindet beide miteinander und vereint sie zu einer universellen Energie, in der alles ins Fließen kommt und neue Schöpfung entsteht. Der Weg über die linke Schwelle ist der Weg ins Paradies. Es ist auch der Weg von der nächtlichen Unwissenheit zum morgendämmernden Wissen.
Das Lied der Hirtin besingt verheißungsvoll die schöne Zeit, die nun anbricht:
"Die Zeit ist gekommen, die farbenfrohe, glückliche Zeit ist gekommen. Das Herz versteht nicht.
Mach Dich auf den Weg und komm, Geliebter! Wenn der schwellende Fluß zu rauschen beginnt."
"The season has come, the colourful, pleasant season has come. The heart does not understand.
Take leave and come beloved, when the flowing river makes a noise."
Die Liebe ist im Raum. Drei Phönixfedern geben Segen.
(c) Anja Mattenklott, 11. und 12. Januar 2017
Link zum Inspirations-Video (knapp 4 min.):
https://www.youtube.com/watch?v=ZWS-sbNWp8Q&list=RDZWS-sbNWp8Q