Zamtari - Winter

 

Georgien - seit 23 Jahren höre ich den georgischen Männerchor Rustavi und bin ergriffen von der polyphonen Schönheit, dem Reichtum der Stimmungswelten, der Zartheit und Präzision und Tiefe, die sich in den Gesängen offenbart.

 

Wenn ich mir georgische Tänze anschaue, fühle ich mich ins Mittelalter versetzt. Die Damen mit bodenlangen Kleidern, hüftlangen Zöpfen, Kappen und Schleiern erinnern an Hofdamen aus Manuskripten.

 

Die Herren in ihrem Tschocha, ein mantelartiges knielanges Gewand aus meist dunkelblauer, roter oder schwarzer Wolle, Schießpulvertaschen auf der Brust, Dolche am Gürtel, enge dunkle Hosen und weiche glänzende Lederstiefel, strahlen etwas ritterhaftes aus.

 

Zamtari-Winter, 2016, 40 cm x 50 cm, Gouache, Pigmente auf Karton
Zamtari-Winter, 2016, 40 cm x 50 cm, Gouache, Pigmente auf Karton

Die khevsuretische Tracht aus Nordost-Georgien kommt den Ursprüngen am nächsten. Sie ist fein bestickt mit Kreuzmotiven - Symbole des Christentums, Dreiecken, Sternen und anderen Mustern. Diese Kleidung gefiel mir von allen am besten.

 

Georgische Tänze sind furios. Unter pulsierenden Trommelrhytmen liefern sich die Tänzer wilde elegante Schwertkämpfe, drehen unzählige Pirouetten auf Zehenspitzen über die Bühne, springen gefühlteMeter in die Luft, um auf ihren Knieen landend weiter zu wirbeln und zwischendurch Messer zu werfen. Oft bilden sie sich drehende Türme aus Männern in drei Etagen. Akrobatik als lebendige Geschichte.

Wenn die Damen die Bühne betreten, stellen die Krieger ihre Kämpfe ein und knien ehrfürchtig nieder. Der Tanz der Frauen ist anmutig, fast schwebend mit graziösen Armbewegungen und geheimnisvollen, stolzen Blicken.

Tanzt ein Paar miteinander ist es fast so, als wenn der Mann in seiner werbenden Position die Dame magnetisch zum Drehen bringt. Da sich beide im Tanz nicht körperlich berühren.


Mich faszinierte die Wildheit, wie sie sich in der Gebirgslandschaft, den Schwertern, den fliegenden Zöpfen und der Fellmütze - dem "Papacha" oder "Telpek" ausdrückt, in der Kombination mit der intensiven Zartheit der Gefühle, die sich in den Mustern und schmachtender Zugeneigtheit zeigt. Zwischen Himmel und Bergkuppe erscheint sie als glühendes Band.

 

Die Georgier haben über 2000 Jahre alte Schriften, aus denen im 11. Jahrhundert die bis heute benutzte Ritterschrift  "Mchedruli" entwickelt wurde. Im Bild links unten findet sich der georgische Liedtext "Zamtari" - Winter. Rechts an ihren Zöpfen die englische Übersetzung:

 

Winter

Winter is withering the rose. The petals have fallen.

From the eyes of a beautiful woman, tears will fall. Let peace reign there.

 

Winter

Winter läßt die Rose verwelken. Die Blütenblätter sind herabgefallen.

Von den Augen einer schönen Frau werden Tränen herabfallen. Laß dort Frieden herrschen.

 

Dieses Lied aus der Region Kachetien, in welcher besonders schönes Liedgut beheimatet ist, wählte ich als poetischen Kommentar zum Innenleben der Liebenden.

Später fand ich heraus, daß es an Festtafeln zu Ehren der Ahnen gesungen wird.

Ein Hauch von Ewigkeit.

 

 

(c) Anja Mattenklott, Januar 2017